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It`s time to say goodbye
29.08.2013 14:00Ein paar letzte kurze Zeilen aus dem ghanaischen Internetcafe bevor es Richtung Heimat geht.
Es ist still geworden im Hause Nkanfoa, meine ganze WG hat schon wieder deutschen Boden unter den Fuessen. Ich bin die Letzte, die noch uebrig ist.
Morgen wird mein letzter Tag in Cape Coast sein, es ist Zeit Abschied zu nehmen. Doch mein Koffer ist vollgepackt mit Dingen, die ich aus diesem Jahr mitnehmen werde. Das Lebensgefuehl, die Gelassenheit mit der ich euch in Deutschland anstecken will. Das ghanaische Lachen, die Offenheit mit der dir hier begegnet wird. Es ist egal was du traegst und was du bist, dir wird mit Respekt entgegengebracht und ins Gesicht geschaut. Vorurteile habe ich abgelegt. Genau wie jegliche Art von Eitelkeit. Die Begeisterung an der ghanaischen Kueche, Interesse an anderen Kulturen, Sprachen, Menschen. Die Erkenntnis und das Schaetzen, der Dinge, die ich habe und nicht das staendige Meckern darueber, was mir fehlt.
Ich nehme so viel mit, danke Ghana. Natuerlich ist es nicht leicht Abschied zu nehmen, doch ein ghanaisches Sprichwort sagt: Sankofa.
Das heisst so viel wie "Back to the roots". Egal wohin du reist, was du siehst und erlebst, irgendwann kehrst du zu deinen Wurzeln zurueck. Es wird Zeit fuer mich zurueckzukehren. Und eins weiss ich jetzt schon sicher, es ist kein "Bye bye", es ist nur ein "See you later". Ich werde wiederkommen.
"The shore is safer, but I love to buffet the sea."
-Das Ufer ist sicherer, aber ich liebe den Kampf mit den Wellen.
Deswegen hat es mich wohl nach Ghana gezogen, eine Entscheidung, die ich nie bereuen werde.
Der Kampf mit den Wellen war nicht immer einfach, teilweise drohte ich unterzugehen, aber er hat mich stark gemacht. Mich neue Dinge gelehrt, ueber die Welt und auch ueber mich selbst. Ich durfte nach neuen exotischen Dingen tauchen, eine andere Welt entdecken, in ihr leben. Mein Atem wurde immer laenger, mir wuchsen Schwimmflossen und ich lernte mich anzupassen, tolerant zu sein, aber auch mich durchzusetzen, wenn es noetig war.
Das Reisefieber hat mich nun gepackt, die anfaenglich Seekrankheit habe ich schon laengst ueberwunden. Ich werde irgendwann wieder meine Tauherausrustung einpacken und losziehen.
Doch nun ist es an der Zeit die Segel zu fassen.
Schiff Ahoi, volle Kraft voraus, Berlin ich komme!
Es gibt 6000 Sprachen, doch in allen lachen wir gleich
08.08.2013 15:26Looooong time, wie der Ghanaer so gern sagt und ja es tut mir leid, ich habe lang nichts mehr von mir hören lassen, doch die letzten Wochen waren sehr turbulent. Wie ich all die Erlebnisse und Emotionen in einen kurzen Bericht stecken soll? Weiß ich selber nicht so genau.
Zunächst erst einmal tausend Dank an all euch liebe Menschen, die Päckchen auf den weiten Weg nach Ghana geschickt haben! Das Strahlen vieler Kinder war es mehr als wert. Es folgen Fotos von stolzen Posern mit coolen neuen Shirts.
Teilweise hat sich das Verteilen als gar nicht so leicht herausgestellt. Was macht man mit 3 Stofftieren, wenn du eine ganze Horde Kinder hast?
Nachts durch die Straßen Cape Coasts ziehen und den neuen Freund neben schlafende Kinder legen. Zu gern hätt ich die Gesichter gesehen, als sie am nächsten Morgen nichts ahnend aufgewacht sind.
„God bless you!“, würde euch jetzt jeder hier sagen.
Die letzten 5 Wochen war Christoph, mein Freund, zu Besuch. Cape Coast hat sich für ihn von seiner besten Seite präsentiert, meine Klasse hat ihn vergöttert und zum Ende hin sind wir noch ein bisschen die westliche Küste entlang gereist. Wieder viel erlebt, haben in klapprigen Strohhütten direkt am Strand, einer ehemaligen deutschen Sklavenburg und im Baumhaus übernachtet. Es war schön für mich, jemanden zu haben, den ich an meinem Leben hier teilhaben lassen und alles zeigen konnte und für ihn war es sicher auch eine Zeit, die er so schnell nicht vergessen wird. Doch mit seinem Rückflug nach Berlin lässt es sich auch für mich nicht mehr verleugnen: Es wird bald Zeit Abschied zu nehmen. In 3 Wochen geht mein Flieger nach Deutschland.
Den ersten und sicher schlimmsten Abschied musste ich aufgrund der Schulferien, die nun begonnen haben, schon hinter mich bringen. Den Abschied von meiner Schule, Arbeit, den Kindern, meiner Klasse.
Mein „Abschiedsgeschenk“ für meine Klasse war ein Ausflug in den Kakum Nationalpark. Die meisten von ihnen sind bis jetzt noch nicht über die Straßen Cape Coasts hinausgekommen. Und dann gleich in den Kakum! Schon Wochen vor dem Ausflug waren die Kinder außer Rand und Band.
Der Tag: viele glückliche Gesichter, die beste Klasse der Welt, die sich gemeinsam über die wackligen Hängebrücken, die sich über dem Regenwald erstrecken, traut. Eine zufriedene und gerührte Madame Saskia, wie ihre Kleinen danach auf der Wiese sitzen und ebenfalls sehr zufrieden drein blickend ihre Reisboxen verputzen. Wie sie alle anfangen zu beten und dem Herrn für diesen tollen Tag danken.
Für die Schule hatten Kiki, Alina und ich uns einen ganz besonderen Abschied ausgedacht. Wir veranstalteten ein kleines Fest auf unserem Schulhof. Zwei andere Culture Groups wurden eingeladen, wir hielten unsere ganz persönliche Abschiedsrede und zum Schluss schauten wir ein letztes Mal der Culture Group zu, die wir gemeinsam ins Leben gerufen hatten.
Und dann war er plötzlich da: der letzte Schultag, der doch eigentlich die ganze Zeit in weiter Ferne lag.
Allein wenn ich in diesem Moment darüber schreibe, habe ich einen Kloß im Hals. Natürlich hätte ich, egal wo ich hier gelandet wär, jedes Kind in mein Herz geschlossen. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass die Klasse, deren Verantwortung mir vor einem Jahr anvertraut wurde, eine ganz besondere ist. Ich habe selten eine so charakterreiche Klasse erlebt. Und obwohl sie alle so verschieden und so sie selbst sind, haben sie einen Zusammenhalt, der mich bis zum Ende hin beeindruckt hat. Als ob Erich Kästner damals bis nach Afrika gereist wäre und seine Inspirationen für das „Fliegende Klassenzimmer“ in dieser Klasse gefunden hätte.
Unsere Geschichte, die uns verbindet, erlebt man nicht alle Tage. Eine Klasse, die plötzlich auf eine englischsprechende Weiße hören soll. Diese, doch selbst erst fertig mit der Schule, noch neu in der Kultur und fremd für ihre Mitmenschen, steht noch leicht unsicher vor der Tafel rum. Wie wir uns einander antasteten, uns gegenseitig Fante und Englisch beibrachten, kulturelle Unterschiede erkannten und uns auf einen gemeinsamen Nenner einigten. Erstaunte Gesichter, da sie auf einmal nicht mehr geschlagen wurden. Eine verzweifelte Lehrerin, als daraufhin die Kinder diese Freiheit ausnutzten und quasi auf den Tischen herumsprangen. Wie wir uns wirklich kennenlernten. Als ich einmal den kranken John nach Hause brachte und dort angekommen vor einer klapprigen, kleinen Hütte stand. Als die große Mary zu mir kam, mir ihre wunden Arme zeigte und erzählte, warum ihre Mutter ihr das angetan hatte. Wie ich erfuhr, dass die schlaue Joyce nur der Schule wegen in Cape Coast bei ihrer Tante wohnt. Ihre Mutter lebt in einem abgelegen Dorf.
Und was für einen Spaß wir gemeinsam hatten. Wenn ich morgens mal keine Lust hatte aufzustehen, musste ich nur an die Kinder denken und schon stand ich im Bett. Die Erfolgserlebnisse, als der kleine Enock die richtige Uhrzeit wusste und Joseph endlich seinen Namen richtig schreiben konnte.
Was sagt man nach so einem Jahr, wenn es heißt Goodbye zu sagen?
Die Kinder hatten ihre ganz eigene Art, sich auszudrücken. Überhäuften mich mit kleinen Briefchen, Bildern, Keksen, einem Tofu Stick- es war völlig egal was, die Geste war es, die zählte.
Sie hatten keine Ahnung, was sie mit den Kleinigkeiten mir in diesem Moment gaben. Wussten nicht, was sie in mir auslösten, als sie plötzlich alle aufstanden und für mich sangen.
Dass ich fertig war zu gehen, ist das eine, aber wenn eine ganze Klasse deinetwegen weint, das lässt sich nicht in Worte fassen. Ich weiß nicht, ob ich jemals so berührt wurde. Ein Moment, den ich wohl nie vergessen werde. Wie selbst dem coolen Evans die Tränen über die Wangen kullerten, die sonst so draufgängerische Julie mit ihrem brüchigen Englisch zu mir meinte: „I like you. You are good. You will come back, okay? “ und die schöne Wilhemina ihre Arme um meine Hüften schwang, mich von unten anschaute und sagte: „Madame, I will miss you.“
Die Kinder haben meine Zeit hier ausgemacht. Ich durfte ihnen ein Jahr lang beim Wachsen zusehen. Ob ich sie jemals wiedersehen werde, erfahren werde, was aus ihnen wird, wohin ihre Wege führen, ich weiß es nicht. Meine Zeit als Madame Saskia, als Klassenlehrerin ist nun vorbei.
Und das macht den Abschied doppelt schwer.
Ich versuche bei alledem einfach immer dankbar dafür zu sein, überhaupt hier gewesen sein zu dürfen, eine ganz andere Kultur kennen und lieben gelernt zu haben, ein Jahr mal ganz anders als gewohnt gelebt zu haben. Ich habe so viel dazugelernt, in was für einer Welt wir eigentlich leben und auch über mich selbst.
Und eine Weisheit wurde mir zwischen den fröhlichen, wunderbaren Menschen immer wieder gelehrt. Egal ob im Trotro plötzlich die Hupe laut losgeht und nicht mehr aufhört (nachdem eben erst der Platten mitten im nirgendwo behoben wurde) und das vollkommen überfüllte Tro nur noch laut lacht oder Belinda aus meiner Klasse und ich uns unter Tränen anschauen und einfach nur noch loslachen müssen, uns selbst auslachen, wie wir wie die Deppen dastehen und heulen.
Es gibt 6000 Sprachen, doch in allen lachen wir gleich.
Es regnet, es regnet, die Erde wird nass.
19.06.2013 11:50Einen feuchten Gruß sende ich Euch aus Cape, in dem nun auch die Regenzeit angekommen ist. Regenzeit bedeutet, dass es teilweise tagelang durchregnet. Es bedeutet morgens aufzuwachen und das Haus nicht verlassen zu können, weil es so stark regnet. Es bedeutet somit leere Straßen in Cape, weil alle Zuhause sitzen. Dass man seine Arbeit, seine Verpflichtungen hat ist dann egal. Wenn`s regnet, dann regnets. Und dann fällt alles andere eben im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Es bedeutet einen kleinen Swimmingpool in unserem Wohnzimmer, da sich die Decke als etwas undicht herausgestellt hat. Es bedeutet sich einen warmen Pulli überziehen zu müssen, weil die Temperaturen teilweise auf sage und schreibe 25 Grad herabsinken ist und es einem da echt kalt wird!
Während ich nun also schon fast eine ganze Jahreszeitenperiode in Deutschland verpasst habe, lerne ich den zweiten Klimawechsel in Ghana kennen. Und so langsam wird mir bewusst, wie lange ich wirklich weg bin. Mag verrückt klingen, dass ich dazu ganze 9 Monate brauche, um mir dessen bewusst zu werden, aber ist so. Wenn man den Geruch von einem leckeren Döner schon fast vergessen hat, sich kaum noch vorstellen kann, wie sich wohl warmes Wasser auf der Haut anfühlt, nicht mehr weiß, wie man eine Waschmaschine bedient und die dicke Kakerlake im Brot einen nicht mehr groß beeindruckt. Wenn man hört, was Zuhause alles passiert bzw. man es nicht hört, weil man eben nicht da ist. Man merkt, dass, während man hier so viel erlebt hat, gleichzeitig die Zeit daheim auch nicht stehen geblieben ist. Und plötzlich checkt man erst: Ich bin wirklich ein ganzes Jahr weg, krass eigentlich.
Diese Erkenntnis schlauer versuchen wir unsere letzten Monate hier nochmal in vollen Zügen zu genießen und auszunutzen. Was mir, wenn mir mein typhusgeschädigter Magen nicht grad einen Strich durch die Rechnung macht, auch ganz gut gelingt. Es gibt super Neuigkeiten, was unsere Culture Group anbelangt. Momentan trainieren wir für eine Show im Juli, bei der mehrere Culture Groups aus Cape Coast antreten. Der Gewinner wird bei einer weiteren Competition in Accra den District Cape Coast vertreten und repräsentieren dürfen. Für uns ist es schon allein eine riesen Ehre an der Show teilnehmen zu dürfen und für die Kinder natürlich unglaublich aufregend. Trotzdem werden wir selbstverständlich unser Bestes geben und denen zeigen, was wir alles draufhaben.
Ein weiteres Thema, worüber ich kurz erzählen möchte, weil es mich in letzter Zeit viel beschäftigt hat, ist die Freundschaft mit Einheimischen. Dass der allgemeine Umgang, das ganze Miteinander ein ganz anderes und sehr viel Offeneres ist, als wir es gewohnt sind, ist nichts Neues. Zurück in Deutschland werde ich wahrscheinlich ständig für peinlich berührte Momente sorgen, weil ich mein inzwischen ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis auch an wildfremden Menschen auslebe. So erkundige ich mich bei jeden neben mir sitzenden Menschen nach seinem Befinden sowie das der Kinder, kommentiere seine Frisur und wünsche ihm einen schönen Tag. Ebenfalls werde ich mir wohl abgewöhnen müssen mit jedem mir sympathischen Menschen direkt Handynummern auszutauschen. ( „Because I want to be your friend“.) Genauso wie diesen dann ohne ersichtlichen Grund anzurufen. Dieses hier nur nett gemeinte „I just wanted to check on you how are you doing“ könnte in Deutschland eventuell als sinnloser Telefonterror bzw. Belästigung aufgefasst werden. Ebenso werde ich wohl nie wieder ohne schlechtes Gewissen etwas allein verzehren können. Hier wird alles geteilt. Ich beobachte immer noch total fasziniert, wie meine Schüler selbst den kleinsten Keks sorgfältig halbieren und mit ihren Freunden teilen.
Doch auch wenn mir das freundliche „Guten Morgen“ meines Nachbarn weiterhin meinen Tag versüßt, so bin ich noch immer nicht ganz dahinter gekommen, ab wann dann die wirkliche Freundschaft beginnt. Man redet viel, mit jedem, aber selten über wirklich private Dinge.
Ich habe hier einige Freund gefunden. Auch wirklich gute Freunde. Trotzdem gibt es manchmal sagen wir Differenzen, die diese Freundschaft nicht immer leicht machen. So war ich zum Beispiel erst letztens bei einem Freund, der auch gleichzeitig der Tanzlehrer unserer Culture Group ist, zum ersten Mal zu Hause. Er lebt quasi für das Tanzen. Die Schule konnte er mangels Geld nie abschließen. Ich kann selbst bestätigen, dass er tanzt wie ein Gott. Demzufolge trägt er mehr als verdient den Titel des besten Tänzers Cape Coast. Sein Traum: nach Amerika gehen und dort groß rauskommen.
Der Weg zu seinem Heim bahnte sich durch viele kleine verwinkelte Gassen und Hinterhöfe, die man als Nicht-Ghanaer oft gar nicht zu sehen bekommt. Bei ihm angekommen dann das, was man sich doch eigentlich auch fast hätte denken können, tatsächlich vor Augen geführt und realisiert. Sein Zuhause: ein Zimmer, welches er sich mit zwei anderen Freunden teilt. Keine Dusche, keine Toilette. In dem Zimmer auch nicht viel mehr als ein Schreibtisch und ein Bettgestell ohne Matratze, von dem es mir ein Rätsel ist, wie man überhaupt darin schlafen kann geschweige denn zu Dritt. Sein Zimmer ist verhältnismäßig insofern sogar noch recht komfortabel, als dass es einen Ventilator besitzt. Nicht ohne Grund sieht man bei Nacht viele Cape Coaster draußen auf den Straßen schlafen, weil es dort einfach kühler als im Haus ist.
Da siehst du dich mit Tatsachen konfrontiert, die dir wieder bewusst werden lassen, wie gut es einem eigentlich geht. Meinen Leuten Zuhause erzähle ich, dass ich hier „nur“ auf einer gammligen Schaumstoffmatratze schlafe. Aber immerhin habe ich eine. Für mich ist das hier alles ein riesen Abenteuer, neu und aufregend. Doch im Grunde immer mit dem Wissen, dass ich in diesem Standard nur für eine beschränkte Zeit leben werde. Da ist die Regendusche spaßig. Doch für die Menschen hier ist es ihr Leben. Es ist ihre Realität. Und größtenteils werden sie ihr Leben lang auch nichts anderes sehen und erfahren.
Kurz darauf kam der eben erwähnte Freund auch bei uns zu Besuch. Saß an unserem Wohnzimmertisch auf dem sich die Kameras, Laptops und Handys stapelten, bewunderte unsere Zimmer und den gefüllten Kühlschrank in der Küche. Ich muss ehrlich gestehen, dass es mir in dem Moment fast unangenehm war. Als ob ich mich für mein eigenes Zuhause schämen müsste.
Dann bemerkst du wie dein Freund sich ohne zu fragen an deinem Kühlschrank bedient. Einfach nur ein kultureller Unterschied und andere Sitte? Er sich danach erkundigt, ob du deine Musikboxen auch wirklich wieder mit nach Deutschland nehmen möchtest. Und plötzlich siehst du dich selbst mit der Frage konfrontiert, warum er eigentlich mit dir befreundet ist. Ist es deine Persönlichkeit oder im Grunde eben doch nur deine Hautfarbe, die ihn angezogen hat. Man möchte die Antwort am liebsten gar nicht wissen.
Dies ist nur ein Beispiel und ich habe auch viele andere positive Erfahrungen machen dürfen. Ich könnte jetzt auch noch viele Gegenbeispiele bringen, von tollen, herzensguten Menschen erzählen, die sonntags extra für mich Fufu kochen und die mich dann wieder vom Gegenteil überzeugen. Doch solche Erlebnisse gehören nun eben auch dazu. Allein die Tatsache, dass in mir solche Fragen aufkommen, man inzwischen zweimal überlegt, was die Absichten seines Gegenübers sind, zeigt, dass Freundschaft zwischen verschiedenen Kulturen leider nicht immer dasselbe wie in der eigenen Heimat ist. Auch wenn ich es mir schwerfällt, das mir einzugestehen und zu akzeptieren.
Und nun entschuldigt mich, bin mal eben den Nachbarn nach seinem Tag fragen, bisschen ghanaisches Leben auskosten, bisschen Azonto auf der Straße tanzen, bisschen die Welt retten, ihr wisst schon…
In the jungle, the mighty jungle the lion sleeps tonight
13.05.2013 18:24"Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung."
Getreu dieser Weisheit machten wir uns vor genau 3 Wochen auf unsere Reise durch Ghana. Nichts wurde ausgelassen, kein Fleck blieb unentdeckt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wieder in so einer kurzen Zeit so viel auf einmal sehen und erleben werde. Es war die Backpackertour, von der ich immer getrauemt habe.
Es ist quasi unmoeglich all das Erlebte kurz zusammenzufassen, dennoch moechte ich versuchen einen kleinen Zusammenschnitt meiner Reise a la Reisehandbuch fuer Euch zu gestalten. (Ich entschuldige mich hiermit schon mal fuer die Ueberlaenge dieses Blogeintrags. Holt Euer Popcorn raus und lehnt Euch entspannt zurueck, es gibt viel zu erzaehlen.)
Einmal zurueckgespult, alles auf Anfang.
Beginnen muss ich wohl beim letzten Schultag vor den Ferien, an dem unsere Culture Group ihren ersten Auftritt hatte. Ich staune immer wieder, wie schnell die Kinder dazulernen und nach was fuer einer kurzen Zeit sie schon eine derartige Performance abgeliefert haben. Lampenfieber blieb natuerlich nicht aus, aber der Auftritt auf dem Schulgelaende war ein voller Erfolg, Alina, Kiki und Ich ein bisschen stolz. Genaueres koennt Ihr Euch auf unserer Seite anschauen. Es gibt sogar ein erstes Video! Lohnt sich mal raufzuklicken!
(https://aboom-culturegroup.blogspot.com/)
Auf in den Norden
Wer denkt, ganz Ghana ist gleich, hat sich geirrt und wenn ich bis jetzt immer von den "Ghanaern" gesprochen habe, hatte ich im Grunde keine Ahnung, haette wohl vielmehr von den "Cape Coastern" sprechen muessen. In Deutschland wuerde es ja auch niemanden einfallen, die bayerische Weisswurst mit der Thueringer Rostbratwurst gleichzusetzen. Ich kann schon nicht mehr aufzaehlen allein wieviele verschiedene Stammessprachen wir unterwegs gehoert haben. Da haben unsere Brocken Fante uns auch nicht weitergeholfen. Der Norden unterscheidet sich eindeutig vom restlichen Ghana. Er ist in gewisser Weise noch "afrikanischer", weniger von der westlichen, europaeischen Kultur beeinflusst. Um wirklich Ghana zu kennen, muss man daher meiner Meinung nach einmal den Norden gesehen haben.
Unser erster Stopp zu den "eigentlichen Wurzeln des Landes" war Kumasi. Kumasi ist sehr voll, sehr laut, sehr dreckig, aber dennoch schoen. Die Hauptstadt der Ashanti Region ist vor allem bekannt fuer seinen Central Market, den groessten Markt Westafrikas. Dort haben wir es nicht lange ausgehalten, aber was wir gesehen haben, war Wahnsinn. Der Markt umfasst an die 10 Hektar (das entspricht etwa 14 grossen Fussballfeldern) und hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Von getrockneten Ratten, ganzen Kuhkoepfen bis hin zu halben Autoteilen, du findest einfach alles. Ob du es wirklich brauchst, ist eine andere Sache.
Von Kumasi aus ging es durch endlose Savanne weiter nach Tamale. Der erste Eindruck: es geht tatsaechlich noch waermer. Die Sonne noch heisser, die Luft noch trockener. Danach waren wir im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig ausgetrocknet. Das einzige Verkehrsmittel scheint hier der Roller zu sein. Das ganze Stadtbild ist von den flotten Dingern gepraegt. Nach der Frage des Besitzen eines Fuehrerscheins wurden wir nur mit grossen Augen angeschaut. Es ist nichts Ungewoehnliches, wenn neben dir an der Ampel ein 8 jaehriger Knirps haelt. Dementsprechend entspannt ist die gesamte Atmosphaere in der Stadt, in die ich mich ein wenig verliebt habe. Das liegt wohl auch an den unglaublich netten und freundlichen Menschen. Klar, ich habe schon des oefteren ueber die afrikanische Herzlichkeit und Offenheit geschwaermt. Doch im Norden scheinst du als Weisser nochmal anders wahrgenommen zu werden. Wirst nicht so oft angestarrt, das Wort Obruni kennt man hier nicht. Es war angenehm nach 8 Monaten sagen wir "normaler" durch die Strassen laufen zu koennen. Auffallend waren ausserdem viele Moscheen, dementsprechend viele verschleierte Frauen. Ein ebenfalls neuer Eindruck nach 8 Monaten sehr ausgepraegten Christentum in Cape Coast. Und auch Toiletten sollten hier keine Selbstverstaendlichkeit mehr sein. Eine vor Blicken anderer schuetzende Mauer und eine Rinne zum Geschaeft erledigen tuts eben auch.
Als wir die groesste Stadt im Norden verliessen fuehrte unser Weg ueber sehr holprige Sandwege weiter in den Mole Nationalpark. Was ich auf dem Weg dorthin gesehen habe, hat mich besonders beeindruckt. Nach Stunden Busfahrt, mitten in der Savanne tauchten aus dem Nichts kleine Doerfer auf. Menschen, die in ihrer Gemeinschaft leben, sich komplett selbst versorgen. Abgeschottet von jeglicher Aussenwelt und Zivilisation. Ein Leben, dass wir nicht im Ansatz nachvollziehen koennen. Ihre Haeuser selbstgebaut aus Lehm und Stroh, keine Schule in der Naehe, geschweige denn ein Supermarkt oder aehnliches. Ich habe versucht mir ihr Weltbild vorzustellen. Was denken diese Leute, wenn ein Bus mit weissen Menschen drin an ihnen vorbeifaehrt? Woher kommen diese anders aussehenden Personen fuer sie? Diese Menschen sind in ihre Dorfgemeinschaft hineingeboren, werden mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit in ihrem Leben nichts anderes als diese kennenlernen. Fuer unsereinen, dem so viele Moeglichkeiten und Chancen zur Verfuegung stehen, unvorstellbar. Wie von selbst stellt sich einem die Frage, ob so ein Leben wirklich erfuellend ist. Ein Leben, das hauptsaechlich von Arbeit zum eigenen Ueberleben gepraegt ist. Ich glaube ja, Ja, diese Menschen sind bestimmt gluecklich, wenn nicht sogar noch gluecklicher, als viele andere Menschen auf dieser Erde. Ihr Leben ist vielleicht simpler, doch gerade deswegen auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentriert. Wenn man einen BWM nicht kennt, entsteht auch nicht der Trieb und das Streben danach. Hat nicht den Wunsch danach etwas zu besitzen, was einen in gewisserweise von den anderen abheben koennte. Man arbeitet jeden Tag fuer die Gemeinschaft, die im Grunde eine einzige grosse Familie ist, Konkurrenzdenken gibt es da nicht.
Doch auch mein Vorstellungsvermoegen hoert da irgendwo auf. Wirklich verstehen koennen dieses Leben wahrscheinlich letztendlich nur diese Menschen selbst.
Meine Zeit im Mole Nationalpark laesst sich am besten mit meinen nicht enden wollenden "WOW!" im Kopf beschreiben. Eine Schoenheit von Natur, wie ich sie noch nie gesehen habe. Die Safaris auf der Suche nach Tieren ein einziges Abenteuer. Habe mich gefuehlt wie Mogli in seinem Dschungel von Affen, Antilopen, Buffalos, Wasserboecken, Krokodilen, Warzenschweinen und mein persoenliches Highlight Elefanten. Nichts blieb uns vorenthalten. Sehr beeindruckende Tage. So auch ein Erlebnis, bei dem wir gerade im Pool der Hotelanlage plantschten, woanders laesst es sich oft nicht aushalten, und ploetzlich unmittelbar daneben zwei riesige Elefanten in aller Seelenruhe ihre Blaetter vom Baum pflueckten.
"In the Jungle, the mighty jungle...!"
Weiter sollte es eigentlich nach Togo gehen. Leider schafften wir es nur bis zur togoischen Grenze, weiter wollte man uns nicht lassen. Aber dies ist eine andere Geschichte. Ich sage nur "Welcome to Africa!" und wenn wir hier eins gelernt haben, dann ist das flexibel bleiben. Demzufolge tuckerten wir mit dem Trotro weiter in die Volta Region. Ich moechte hierbei auch kurz das alleinige Abenteuer einer Trotro beziehungsweise Busfahrt anmerken. Wir haben 12 stuendige Busfahrten abwechselnd auf dem Fussboden sitzend, weil nicht genuegend Sitzplaetze zur Verfuegung standen, holprige Fahrten ohne Rueckenlehne hinter uns. Fahrzeiten, die spontan festgelegt werden, und wenn man 5 Minuten zu spaet kommt eben Pech gehabt hat. Viel Schweiss, viele Gebete, die vor jeder Fahrt gesprochen werden
In der Volta Region...
, die vor allem landschaftlich mal eine ganz andere, bergigere Seite Ghanas zeigt, ging es von Ho aus weiter nach Amezdofe, die hoechste Siedlung Ghanas. Ein ruhiges, romantisches Fleckchen zwischen den Bergen, von denen aus der Blick bis zum Voltasee reicht. Fuer Wanderbegeisterte, wie uns, birgt es einen unfassbar schoenen Wasserfall. Duschen in den Fluten des Berges, gibts was Schoeneres?
Nach zwei Wochen Essen von der Strasse folgte Typhus, welches mich leider genau in diesem abgelegen Oertchen erwischte. Mein Motto seitdem: What doesn't kill you makes you stronger.
Ich bedanke mich hiermit bei meinen Freunden, die mich aus dem wohl schlimmsten Krankenhaus Ghanas, gerettet haben.
Aber deswegen wieder nach Hause fahren? Kommt nicht in Frage. Und so gings weiter, Alina bepackt nicht nur mit ihrem Rucksack auf dem Ruecken, sondern auch meinen vorne dran zwecks leichter Schwaeche meinerseits. Das nenn ich wahre Freundschaft.
Es folgten traumhafte Tage. Im Monkey Sanctuary, einem Dorf voller kleiner Herr Nilsons, wurden wir von allen Seiten von den suessen Aeffchen besprungen. Standen vor dem Wli Wasserfall, dem hoechsten Wasserfall Westafrikas.
Ein fuer mich sehr bewegendes Ereignis moechte ich hierbei noch gern loswerden. Ich weiss nicht, wer von Euch schon von Agblogboshie, der Elektromuellhalde Accras, gehoert hat. Ich meine sie bereits in einer meiner vorigen Berichte kurz erwaehnt zu haben. Doch jetzt war ich selbst da. Ein Erlebnis, dass ich wohl nie vergessen werde. Wie ich es am besten beschreibe? Gute Frage.
Schon von weitem sahen wir schwarze grosse Rauchschwaden. Je naeher wir mit dem Taxi fuhren, desto unertraeglicher wurde die Luft. Ein furchtbarer Gestank, der dich automatisch die Luft anhalten laesst. Wir haben es nicht lange an diesem Ort ausgehalten, noch nie habe ich mich in meiner Haut so unwohl gefuehlt, doch das, was wir gesehen haben, war schlichtweg erschreckend. Berge von Elektromuell, so weit das Auge reicht. Ueberall auffallend junge Maenner, die den Schrott auseinandernehmen, brauchbare Teile aussortieren und den Rest verbrennen. Ihr Job, der eine Lebenserwartung von 30 Jahren voraussagt. In der Ferne verbrannten gerade ein paar Maenner Muell, standen inmitten des unertraeglichen Qualms. Das schockierendste des ganzen Szenarios: Mittendrin normales Leben. Menschen, die dort ihr Zuhause haben. Frauen, die vor ihrer Haustuer Essen gekocht haben. Ein Bild laesst mich seitdem nicht mehr los. Zwei Kinder, nicht aelter als 5 Jahre, die auf einem Autoreifen sitzend neben einem riesigem Berg Muell, spielten. Ich dachte in diesem Moment nur, dieser trostlose ist kein Ort zum Spielen. Erst recht nicht zum gross werden. Doch das ist die Realitaet. Und diese Realitaet macht mich einfach unfassbar wuetend. Wuetend auf Menschen, die in ihren Industriestaaten sitzend, von solchen Orten keinen blassen Schimmer haben. Die ohne gross drueber nachzudenken, sich nur um es zu besitzen ein neues Handy kaufen, obwohl es das Alte genauso gut getan haette. Was mit all dem Schrott passiert, macht sich selten einer klar.
Nun sind wir wieder in Cape Coast gestrandet, meiner Heimat in der Ferne. Das habe ich echt gemerkt, als ich nach 3 Wochen wieder durch die mir vertrauten Strassen gezogen bin. Diese wunderbare Reise reicher starte ich frisch und munter in den dritten und somit letzten Schulterm. Ich weiss noch, wie ich dachte: 3 Terms, das ist ja ewig! Jetzt stehe ich vor meinem letzten. Sehr beaengstigend.
Aber was bleibt mir anderes uebrig, als es ghanaisch gelassen zu sehen und einfach das, was ich noch habe, zu geniessen.
Insofern: Take it easy! Life's good!
Eure Weltenbummlerin
Da ist der Wurm drin
17.03.2013 16:50Und schon wieder ist ein Monat verflogen. Ein Monat, in dem meine Klasse die Uhr lesen gelernt hat. Ein Monat, nicht nur ohne Wasser, sondern auch ohne Gas. In ganz Ghana ist gerade Gasknappheit, sprich es gibt einfach kein Gas. Da merkt man plötzlich, was es wirklich bedeutet, wenn es einem Land an etwas mangelt. In Deutschland fährt man halt in den nächsten Supermarkt. Das geht hier nicht so einfach, man muss dann eben wirklich mal verzichten.
Ein Monat mit Chris Brown Konzert in Accra. Ein Monat der Blackberry Saison, kleine Beeren, die hier momentan jeder ständig und überall lutscht. Der Monat des Independence Day. An diesem großen Tag trifft sich ganz Cape Coast zum offiziellen Marschieren. Polizei, Feuerwehr, das Militär und alle Schulen. Unsere Schule hatte die große Ehre als Erste zu marschieren. Mittendrin, in Vertretung der Lehrerschaft, meine Alina. Ihr könnt Euch sicher das Spektakel vorstellen, als inmitten all der Ghanaer plötzlich die weiße Alina vorbeimarschierte. Ich war sehr stolz auf sie. Es war sehr beeindruckend einen solchen Tag mitzuerleben. Mit wie viel Ernsthaftigkeit sie den Tag ihrer Unabhängigkeit zelebrieren. Dabei wurde auch keine Rücksicht auf Verluste genommen. Reihenweise kippten die Leute in ihren viel zu warmen Uniformen um. Es war fast ein Spiel, in dem man wetten konnte, wer als nächstes in Ohnmacht fällt.
Denn es war außerdem ein Monat der Sonne ohne Erbarmen. In meiner gesamten Zeit hier in Ghana war es noch nie so heiß, wie jetzt. Nachts wacht man auf, weil man komplett durchgeschwitzt ist. An jeder Straßenecke gibt es extra Schweißtücher zu kaufen, die man sich einfach in den Ausschnitt steckt, um sie jederzeit griffbereit zu haben und sich den triefenden Schweiß von der Stirn zu wischen.
Es war außerdem der Monat von Willi dem Wurm, meinem neuen Untermieter im Fuß. Seit Anfang Februar arbeitet er sich durch meinen Fuß, was sich durch ziemlich unangenehm juckenden Ausschlag äußert. Natürlich hat er sich auf Dauer dort in bisschen einsam gefühlt und beschlossen eine Familie zu gründen, indem er kleine Eier legte aus denen neue nette Würmer entstanden. Ich muss sagen, es war nett Bekanntschaft zu machen, doch langfristig ist so ein Wurm nicht zu empfehlen. Da er auch ziemlich schlechte Miete zahlt, bin ich gerade dabei ihn (mal wieder) mit Medikamenten zu killen.
Trotzdem fühle ich mich weiterhin sehr wohl in meinem ghanaischen Alltag. Es sind die Kleinigkeiten, die das Leben hier so lebenswert machen. Die Frau vom Kiosk mit der ich meinen täglichen Plausch halte und nächsten Sonntag zum Fufu machen verabredet bin. Der „Fan Ice“ Verkäufer, bei dem wir uns fast täglich unser Lieblingseis holen und der mir ein Freundschaftsarmband mit den Initialen „Kaskia“ geschenkt hat. (mein Name scheint hier für jedermann eine große Herausforderung zu sein. Kaskia, Soska, Sesika, alles ist vertreten, aber bloß nicht Saskia) Inzwischen stelle ich mich oft nur noch mit meinem Fante Namen Adjoa vor. Hier hat nämlich jeder auch einen „Stammesnamen“. Dieser wird nach dem Tag deiner Geburt zugeordnet. Jeder Tag hat einen bestimmten Namen. Ich wurde beispielsweise an einem Montag geboren und heiße somit Adjoa.
Momente, wie die rasanten Taxifahrten auf der Landstraße, laute ghanaische Radiomusik im Ohr, zusammengepfercht mit anderen. Denn anders als in Deutschland steht ein Taxi nicht nur einem Fahrgast zur Verfügung. Dabei will der Taxifahrer natürlich so viel Umsatz wie möglich machen, sprich so viele Fahrgäste in sein Auto stapeln, wie nur geht. Ich habe schon Taxifahrten im Kofferraum, halb auf dem Schoß eines Fremden auf dem Beifahrersitz sitzend und ähnliches erlebt. Anschnallen ist im ghanaischen Wörterbuch sowieso nicht vorhanden.
Es ist einfach die Hilfsbereitschaft, Offenheit und Freundlichkeit, die mich immer wieder aufs Neue umhaut. Es ist selbstverständlich, dass man einen ein Stück im Auto mitnimmt, wenn man ihm am Wegesrand laufen sieht. Wenn man nach dem Weg fragt, bekommt man diesen nicht etwa beschrieben. Nein, derjenige bringt einen bis zum gefragten Punkt, egal wie weit es ist. Hast du ein Problem, macht es sich der Ghanaer zu seinem eigenen und lässt nicht locker, bevor er eine Lösung gefunden hat. Einmal rannten wir im totalen Regen nach Hause. Uns entgegen kam ein Mann mit Regenschirm, der in eine ganz andere Richtung musste. Dies hielt ihn dennoch nicht davon ab, uns unter seinem Regenschirm bis vor die Haustür zu bringen.
Ghana ist mein 2. Zuhause geworden und auch wenn mir schon öfters gesagt wurde, dass ich ja jetzt eine „already ghanaian woman“ sei, ist mir bewusst geworden, dass das leider nie ganz der Fall sein wird. Denn irgendwo werde ich immer auffallen. Man gewöhnt sich an die Rufe „Obruni“, doch weniger werden sie deswegen nicht. Kinder, die einen um Wasser oder Geld anbetteln. Situationen, die mich auch jetzt noch oft in Gewissenskonflikte bringen. Ich kann nicht jedem Kind hier Geld geben. Doch in ihren Augen bin ich reich. Ich versuche möglichst immer klarzustellen, dass die Hautfarbe nicht gleichzeitig über die Fülle des Geldbeutels entscheidet. Aber wenn man es wirklich mal direkt vergleichen würde, haben sie wahrscheinlich Recht. Im Verhältnis zu ihnen bin ich eben doch reich.
Ich erinnere mich außerdem an eine Situation, in der ich mich zum ersten Mal richtig für meine Hautfarbe schämte. Wir waren abends in einem Club in Kokrobite. Um das Schauspiel sachlich zu umschreiben: Mittfünfziger, weißhäutige Frauen, die versuchen sich deutlich jüngere, ghanaische Männer anzulachen. Ich schämte mich einfach nur, war entsetzt darüber, welche Europabilder und Vorurteile durch solche Menschen in Ghana entstehen. Ich wünschte in dem Moment selber lieber schwarz statt weiß zu sein.
Es ist dieses „anders“ sein und auffallen, das nicht immer einfach ist. Erst diese Woche kam mitten auf der Straße aus dem Nichts eine Mutter mit ihrem Kind mir entgegen und drückte mir ganz begeistert ihr Kind in die Arme, welches mich nur völlig verschreckt anstarrte. Sicher war ich der erste weiße Mensch, den dieses Kind je gesehen hat, da würde ich auch komisch gucken. Aber als ob ich eine Heilige wär, kam diese Frau auf mich zu. Ich bin doch auch nur ein Mensch, genau wie diese Frau und ihr Kind.
Ich versuche mir dann immer die umgekehrte Situation vorzustellen. Wie fühlt sich ein Schwarzer in Deutschland? Okay, wir rufen ihm jetzt vielleicht nicht „Schwarzer“ auf der Straße hinterher und sind größtenteils sicher sehr fortschrittlich und multikulturell eingestellt. Trotzdem glaube ich, dass das nicht immer und überall der Fall ist. Auch wenn es vielleicht gar nicht bewusst auffällt. Man wird einfach automatisch irgendwo eingeordnet, weil man eben eine bestimmte Hautfarbe oder ein bestimmtes Aussehen hat. In Berlin gibt es Clubs, die Ausländern den Eintritt verweigern. Was für eine Logik steht dahinter? Nur weil jemand türkisch aussieht, schlägt er gleich den halben Club zusammen? Er kann doch genauso gut in Deutschland geboren sein, im Zweifelsfall einen noch besseren Schulabschluss als der Türsteher haben.
In diesem Sinne: „My name is not Obruni“ (Soska aber auch nicht)
Geht nicht unter im Schnee und haltet die Ohren steif,
eure Adjoa
Let`s pretend you were born on the other side of the world...
11.02.2013 18:25Wie auch beim African Cup für Ghana im Halbfinale das Ende gepfiffen wurde und wir somit leider nur Vierter wurden, so läutet auch bei uns Freiwilligen eine leise Glocke, die uns sagt, bald ist schon die Hälfte unserer Zeit in Ghana rum. Zeit, bitte wo bist du?
Inzwischen sind wir auch ein Seminar schlauer, welche jeweils zu Beginn, Mitte und Ende unseres Freiwilligendienstes angesetzt sind. Das Zwischenseminar fand in Kokrobite, in der Nähe von Accra, an einem wunderschönen abgelegenen Ort statt. Dort haben wir eine sehr intensive Woche mit interessanten Diskussionen und Themen verbracht und nebenbei auch noch die Freiwilligen aus Togo kennengelernt.
Doch was mir zur Zeit und auch in dieser Woche so bewusst wie je zuvor geworden ist: Die Rückkehr wird wohl schwieriger, als ich es mir je ausgemalt hätte. Natürlich ist es noch genügend Zeit bis dahin, trotzdem ist es ein Thema, was mich momentan sehr beschäftigt.
Plötzlich stand ich in Accra wieder in überfüllten Supermärkten, auf großen Häusern leuchtete mir Reklame von Fast Food Ketten entgegen, große Jeeps fuhren an Ampeln vorbei, an denen ich auf einmal wieder warten musste. Ich war wieder mit Dingen konfrontiert, deren Existenz ich schon fast vergessen hatte. Es mag komisch klingen und ich habe ja nicht mal das Land verlassen, aber dennoch ist das Leben in Cape Coast doch ein anderes, als das eines Hauptstädters in Accra. Ich kam mir fast ein bisschen wie eine Wilderin vor, die seit einem halben Jahr zurück in die Zivilisation kommt. Ich hatte meine erste Pizza, Salat und Müsli seit 5 Monaten. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welch ein Geschmackserlebnis solche Dinge in einem auslösen können. Da ist ein Glas Milch auf einmal das höchste aller Gefühle.
Doch neben diesen kleinen Freuden, muss ich sagen überforderte mich dieses Leben, der Konsum schon fast. Und wie von selbst stellte sich damit für mich die Frage, wie soll es dann erst wieder zurück in Deutschland werden?
Mag sein, dass ihr Euch jetzt fragt, was für ein Öko ich geworden bin oder als was für eine „Möchtegern-Weltverbesserin“ ich zurückkommen werde, doch im Grunde sehe ich nur Dinge klarer und bewusster, die davor auch schon da waren.
Ja, auch ich bin zu H&M shoppen gegangen. Obwohl ich auch schon davon gehört hatte, dass die Kleidung von Kinderhänden hergestellt wird. Hab ich mich weiter damit auseinandergesetzt? Nein. Und genau da liegt das Problem. Jeder von uns weiß, dass wir zu den „Gewinnern“ auf dem Weltmarkt gehören. Und dass zu diesem System eben auch die „Verlierer“ gehören. Doch wie es genau auf der anderen Seite der Medaille aussieht, damit mag sich keiner so richtig auseinandersetzen. Beziehungsweise argumentiert gern mit „dem Tropfen auf dem heißen Stein“. Wenn mein Nachbarn sich im nächsten Discounter den Einkaufswagen mit der 60 Cent Schokolade auffüllt, was ändert es dann schon, wenn ich es nicht tu?
Und warum sollte ausgerechnet ich auf die neueste I Phone Generation verzichten, wenn doch alle anderen auch damit rumlaufen?
Natürlich, Deutschland ist Exportweltmeister, wir würden uns ja selber ins Bein schießen, wenn wir versuchen würden daran etwas zu ändern.
Doch welch Einzelschicksale dieses Wirtschaftssystem mit sich zieht, das wird einem selten bewusst. Dass Kinder deine neuen Adidas Schuhe herstellen, während du zur Schule gehst. Dabei hätten sie darauf doch genau dasselbe Recht.
Eine weitere Tatsache: In Accra gibt es eine Elektromüllhalde, die den Elektromüll von Europa und Amerika dort lagert. Wer atmet die giftigen Gase ein? Europa oder Amerika? Nein, Ghana.
Selbstverständlich ist auch der gute Wille da. Jährlich fließen viele Gelder in die Entwicklungshilfe. Wobei diese schon gar nicht mehr so bezeichnet wird. Denn was bedeutet eigentlich Hilfe? Der moderne, aufgeklärte Europäer kommt in ein Entwicklungsland und weiß, wie es richtig ist und hilft? Nein, so einfach ist das nicht. Hierbei spricht man auch vom sogenannten Gießkannenprinzip. Wenn die Hilfe „von oben herab“ kommt. Was bringt es zum Beispiel, wenn jemand in ein Dorf kommt und meint, dass die Bewohner ordentliches Handwerkszeug brauchen. Er besorgt es ihnen, doch die Bewohner können überhaupt nichts damit anfangen, weil sie ihr eigenes, gewohntes Werkzeug benutzen.
Vielmehr muss im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit auf die Bewohner zugegangen werden und gefragt werden, was sie brauchen. So könnten sie beispielsweise einen Brunnen benötigen, für denen ihnen allerdings die Gelder fehlen. Auf gleicher Augenhöhe könnte man dann die Errichtung des Brunnens planen, die Bewohner wären beim Bau mit einbezogen. Es wäre gleichzeitig etwas, was sie mit erschaffen haben und nicht etwas, was ihnen nur hingestellt wird.
Weiter im Beispiel würde der Brunnen die Hygienebedingungen in dem Dorf um einiges verbessern, da das Wasser nicht mehr aus dem Bach oder See geholt werden müsste. Automatisch würde sich die Krankheitsrate vermindern. Man könnte das Dorf sich selbst im Entwicklungsprozess überlassen. Die „Hilfe“ käme also von „unten nach oben“.
Dieser Weg der Hilfe zur Selbsthilfe wird auch immer mehr eingeschlagen und umgesetzt.
Was ich so erschreckend finde ist, was für ein Bild des „armen Afrikaners“ in Europa entsteht und in den Medien auch gern vermittelt wird. Dabei ist er viel mehr als das. Ich kann jetzt natürlich nur dafür sprechen, was ich gesehen habe, aber was ein Ghanaer hier täglich leistet, würde unsereiner oft kaum durchhalten. Harte Feldarbeit in der prallen Sonne oder den ganzen Tag seine Ware auf dem Kopf balancierend auf dem Markt verkaufen, das kann wohl kaum mit einem Bürojob verglichen werden.
Sie sind auch nicht etwa „dümmer“ als wir. Das Schicksal hat sie nur in einem Land zur Welt kommen lassen, in dem es ein nicht so ein gutes Bildungssystem gibt, wie es uns vergönnt ist.
Wie gesagt, ich möchte niemanden mit diesen Zeilen bekehren. Das kann ich auch gar nicht. Es gibt genügend Übel auf der Welt, von dem auch ich keine Ahnung hab. Doch ich setze mich damit auseinander, versuche für mich einen Weg zu finden damit umzugehen. Stellt Euch doch mal vor, jeder von uns würde ein bisschen mehr darauf achten. Man muss ja nicht gleich eine ganze Schule in Afrika errichten, um etwas tun zu können. Doch wir haben die Möglichkeit Fair Trade Produkte zu kaufen. Auch wenn Saturn uns sagt „Geiz ist geil“, müssen wir ja nicht unseren kompletten Lebensstil danach richten. Genauso wenig verlangt ja auch keiner gleich Vegetarier zu werden. Trotzdem kann man ja vielleicht auf die Chicken Mc Nuggets bei Mc Donalds verzichten.
Just think about it. Denn nur weil du behütet auf deiner Couch Zuhause sitzt, heißt es nicht, dass es dich nicht betrifft.
Halte diesen Augenblick fest
07.01.2013 11:42Euch allen erst einmal „Africia pa“, wie der Ghanaer jetzt sagen würde oder auf gut deutsch: Frohes neues Jahr! Ich hoffe, Ihr hattet alle schöne Weihnachtstage, ein nettes Beisammensein, eine leckere Weihnachtsgans und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt lief bei mir dieses Jahr alles ein bisschen anders ab und ich bin wieder ein paar neue Erfahrungen reicher. Natürlich gab es den ein oder anderen sentimentalen Moment, vor allem wenn man Bilder vom Weihnachtsbaum Zuhause und der musizierenden Familie sieht, aber gleichzeitig passierte hier so viel, dass ich oft kaum Zeit hatte wirklich darüber nachzudenken.
Während Ihr nun am Heiligabend sicher in die Kirche gegangen seid, die Familie besucht habt und Bescherung unter dem Weihnachtsbaum hattet, habe ich für meinen Teil den Tag mit den Heimkindern am Strand verbracht. Und ich kann Euch garantieren, es war eins der schönsten Heiligabende, die ich bis jetzt erlebt habe.
Ich denke, ich überspitze es nicht, wenn ich behaupte, dass für viele der Höhepunkt des Heiligabends die Bescherung ist. Lass es den Weihnachtsmann oder das Christkind sein, aber diese Erwartungen sorgen schon Wochen, wenn nicht Monate vor dem Tag, an dem Jesus geboren wurde, was sicher auch in einigen Familien fast vergessen wird, in den Kaufhäusern für Tumulte. Dieses Jahr gab es keine Geschenke. Wir haben uns auch untereinander nichts geschenkt, weil es hier nicht üblich ist. Und mir hat ehrlich nichts gefehlt. Im Gegenteil: Zu sehen, dass die Kinder einen schönen Tag haben und wir ihnen eine Freude bereiten konnten, ist tausendmal besser, als zehn Schokoweihnachtsmänner zusammen.
Davon mal abgesehen sorgte noch vieles mehr für die Weihnachtsstimmung der anderen Art. Denn nicht nur das Klima ist hier ein Anderes. Anstelle des 24. feiern Ghanaer erst am 25. Viele verkleiden sich an diesem Tag mit bunten Kostümen und gruseligen Masken, womit sie auf die Straßen ziehen, tanzen und Musik machen. Das Ganze hat einen gewissen Touch von Karneval. Auf Weihnachten wär ich jetzt im ersten Moment nicht gekommen. Doch die Stimmung ist unbeschreiblich. Dazu hatte ich das Glück an diesem Tag in Takoradi, der „Hauptstadt“ des Westens, zu sein. Denn dort war noch mehr los, als bei uns in Cape und Alina und ich sind nicht mehr aus dem Staunen herausgekommen.
Auch weiter gestaltete sich meine Weihnachtszeit etwas untypisch. Denn in den darauffolgenden Tagen reiste ich zuerst nur mit Alina, später noch mit vier anderen Freundinnen durch die Western Region Ghanas und erlebte eine der abenteuerlichsten und schönsten Zeit bis jetzt in Ghana. Einfach mit dem Rucksack auf dem Rücken losziehen, ohne zu wissen wo man landet und was der Schlafplatz für die nächste Nacht sein wird. Erlebnisse, Momente, Eindrücke, Blicke, die sich schwer beschreiben lassen und die man am liebsten in ein Marmeladenglas packen würde, damit man sie nie vergisst und immer wieder ein bisschen dran schnuppern kann, wenn einem grad danach ist.
Auf meiner Reise gab es lange Trotro Fahrten, vor denen alle Passagiere beteten, dass man heil ankommen möge, über Straßen, die keine Straßen mehr waren und von denen ich dachte, dass im nächsten Moment das Trotro in der Mitte zusammenbricht, mit Sitznachbarn, die ihr noch lebendes, laut krähendes Abendbrot auf dem Schoß sitzen haben. Ich habe viele Meilen Fußmarsch hinter mich gelegt, bin allein insgesamt 6 Stunden durch die pralle Mittagssonne in der Pampa Afrikas gelaufen, um schließlich auf den Klippen des südlichsten Punkts von Ghana zu sitzen. Bin im Morgengrauen mit dem Kanu in den Sonnenaufgang hineingefahren. Habe wunderschöne Strände, Landschaften, kleine unentdeckte Dörfer, exotische Vögel und riesige Krabben gesehen. Ich habe einen Affen gestreichelt. Habe unter freiem Himmel geduscht und in einer kleinen Hütte direkt neben dem Meer geschlafen. Mir wurden nachts von den Mäusen meine Unterwäsche und Alinas Malariatabletten aufgefressen. Ich bin tollen Menschen begegnet, habe viele interessante Gespräche geführt. Ich habe im Sommerregen am Strand getanzt. Habe den Moment gelebt. Because we do not remember days, we remember moments.
Und all die vielen Momente später bleibt mir nicht mehr zu sagen als: Ich habe wohl mein Herz verloren, an Ghana.
Ghana, grausam und schön zugleich.
Sobald man aus Cape Coast heraus fährt, sieht man oft nochmals ein anderes Afrika. Cape Coast lässt sich durchaus als fortschrittlich und modern im Vergleich zu anderen Teilen Ghanas bezeichnen. Dieses Bild ändert sich schon ein paar Kilometer außerhalb von Cape. Die Häuser sind nicht mehr aus Stein. Die Menschen leben in kleinen Lehmhäusern mit Dächern aus Stroh, vor ihnen kochen sie sich über der offenen Feuerstelle ihr Essen. Sehr beeindruckt haben mich auch die kleinen Fischerdörfer in Nähe der Küste, in denen sich ein ganzes Dorf quasi selbst ernährt. Die Fischerei bedeutet ihr Überleben. Außerdem hat auf mich jedes Dorf für sich wie eine einzig große Familie gewirkt. Sie sind eine Gemeinschaft. Jeder kennt jeden und alle sind füreinander da.
Neben diesen Abenteuern durfte ich außerdem eine Naming Ceremony und das Engagement, eine traditionelle ghanaische Hochzeit, meiner Schuldirektorin besuchen. Beides für sich toll mal miterlebt zu haben. Die Naming Ceremony lässt sich mit einer Art Taufe vergleichen. Davor erfährt Niemand den Namen des neugeborenen Kindes und er wird erst an diesem offiziellen Anlass bekannt gegeben. Dabei gibt der Pfarrer dem Kind einen Schluck Wasser und Fanta. Das Wasser steht dabei für die bitteren und die Fanta für die süßen Zeiten im Leben. Und egal in welcher Phase des Lebens das Kind sich gerade befindet, das Wichtigste ist, dass es immer bei der Wahrheit bleibt. Eine schöne Botschaft, wie ich finde.
Die Hochzeit lässt sich im Großen und Ganzen mit einer europäischen vergleichen. Nur das die Gäste viel schönere, bunte Kleider tragen, das Buffet ausschließlich aus Reis, Plantains, Fufu und Yam Balls besteht und man gern auch mal vier Stunden auf das Erscheinen des Brautpaares warten kann. Mein persönliches Highlight dieser Hochzeit war, dass ausgerechnet ich für das Hochzeitsvideo die Sektflasche schütteln und anschließend spritzen lassen sollte… Da war er wieder, der besondere Moment.
Soweit erst mal wieder ein paar Anekdoten aus dem ghanaischen Busch. Fangt auch ihr sie ein, die kleinen Details, Glücksmomente, Highlights im Alltag. Dazu muss man nicht nach Afrika fliegen. Denn wie der Sänger von Madsen jetzt sagen würde: Halte diesen Augenblick fest, er wird dich begleiten.
Von Weihnachtskugeln an Palmen und anderen Dingen, die das Leben lebenswert machen
14.12.2012 18:54Meine lieben Schneemänner und Lebkuchenfrauen,
im Zuge der Vorweihnachtszeit mal wieder ein paar Zeilen aus Ghana, an dessen Spitze seit letzter Woche ein neuer Präsident sitzt.
Schon die letzten Wochen hat Ghana kein anderes Thema bewegt. Politik betrifft hier jeden und jeder hat einen klaren Standpunkt: entweder er ist NPP oder NDC. Sie haben, neben den anderen Parteien, die Mehrheit aller Wähler und der Wahlkampf glich einem regelrechten Ringkampf der Politiker und seiner Anhänger.
Um das Ganze ein bisschen besser nachvollziehen zu können, stelle man sich bitte folgendes Fallbeispiel in Deutschland vor: SPD und CDU im Konkurrenzkampf um die Mehrheit in der Regierung. Sie drucken Flyer, die nicht ihre Vorzüge ihrer Wahlkampagne, sondern die Nachteile der anderen Partei anpreisen. Deutsche Wähler, die Armbänder, Tücher, Schuhe und vieles mehr in den Farben ihrer Partei tragen. Auf sämtlichen T-Shirts lacht einen Angela Merkel entgegen. Ganze karnevalsartige Umzüge, Menschenmassen, die zu dem Lied (!) ihrer Partei tanzen. Bürger, die sich fast prügeln, weil sie sich in ihrer politischen Einstellung nicht ganz einig sind.
Ein ganzes Land im Wahlrausch.
Zum selben Zeitpunkt war ich mehr im Examen-Rausch. Ende jedes Terms werden in jedem Fach Examen geschrieben, die ich, wie es nun ein Lehrer ab und zu tut, korrigieren durfte. Ungefähr 120 Examen und 3 verbrauchte Rotstifte später kann ich zumindest schon mal sagen, was ich später nicht werden möchte, und zwar Lehrerin, allein des Korrigierens wegen.
Ganz nebenbei mussten wir auch mit Schrecken feststellen, dass wir jetzt schon ein Vierteljahr in Ghana leben. Ich weiß ja nicht, wie bei Euch die Uhr tickt, aber hier vergeht die Zeit unfassbar schnell. Fast zu schnell. Ich weiß noch, wie ich in den ersten Tagen in Ghana am liebsten den nächsten Flug nach Hause genommen hätte. Jetzt möchte ich am liebsten gar nicht mehr zurück. Ja, ich bin wirklich angekommen. Esse mit größter Selbstverständlichkeit meinen Reis und Fufu mit der Hand, beherrsche die ghanaische Begrüßung, indem man sich die Hand gibt und dann die Mittelfinger gegeneinander schnipst, perfekt. Keine Marktfrau und kein Taxifahrer kann mir mit den Preisen etwas vormachen - ich kenne sie. Ich liebe es mich in den ghanaischen bunten Stoffen zu kleiden, steige im Trotro auch mal hinten aus dem Fenster aus, damit die Leute vor mir nicht extra aufstehen müssen und grüße morgens jeden mir entgegenkommenden Menschen mit einem freudigen „Me ma wo akye“.
Ich musste außerdem aufgrund von Plastikweihnachtsbäumen in den Supermärkten und laut schallenden Weihnachtsliedern aus den Klassenzimmern feststellen, dass ja die Adventsszeit angebrochen ist. Hätte ich inmitten des subtropischen Klimas fast verpasst.
Also, ich wünsche Euch allen weiterhin eine schöne Adventszeit und frohe Weihnachten! Singt fleißig Weihnachtslieder und rodelt einmal für mich den Schneehang runter. Ich werde meinerseits dieses Jahr mein Weihnachten bei 40 Grad unter einer schönen Palme am Strand verbringen. In einem Land mit ganz anderen Traditionen und kulturellen Bräuchen. Und ich kann es kaum abwarten.
Ich möchte außerdem nochmal kurz auf den schönen Link auf meinem Blog unter Neuigkeiten aufmerksam machen. Es lohnt sich drauf zu klicken!
In diesem Sinne: Merry Christmas, Peace and Love and John Mahama for a better Ghana!
Yes, Madame!
28.11.2012 19:01„Good Morning everybody“ - „Good Morning Madame, how are you?” – “I`m fine thank you. What about you?” – “We`re also fine” - “Sit down!” - “Thank you Madame!”
Also alle stillgesessen, denn Madame Saskia hat mal wieder was zu erzählen.
Inzwischen habe ich mich gut von meiner Malaria erholt und kann nun wieder voll und ganz durchstarten. Die Lehrerin der 3. Klasse hat ihre kleine Tochter zur Welt gebracht und mich damit im selben Moment nun ganz offiziell zur Klassenlehrerin ernannt.
Da steht man nun als frischgebackene Abiturientin vor der Klasse, hat selber noch blaue Flecken am Hintern von all den Stunden, die man auf der Schulbank verbracht hat und ist plötzlich selber Lehrerin. Ein wirklich unbeschreibliches Gefühl. Ich steh vor den Kleinen und denk mir nur: „So Saskia, das ist jetzt deine Klasse. Für diese 17 tollen Geschöpfe trägst du die Verantwortung. Ähm… Moment nochmal, ich?!“ Verrückt.
Diese Herausforderung macht mich sehr stolz, aber gleichzeitig setzt sie mich ab und zu auch unter Druck. Ich gebe mich ungern mit nur halben Sachen zufrieden und möchte somit diese Aufgabe auch zufriedenstellend bewältigen. Ich unterrichte bis auf Fante alle Fächer (Mathe, Englisch, Kunst beziehungsweise Musik, Religion, Biologie und ICT ( Bitte fragt jetzt nicht nach, wie man einer Klasse ohne Computer beibringt, wie sich ein Windows Programm öffnen oder die Tastatur bedienen lässt...)). Ich muss mit den Kindern Klassenarbeiten schreiben, die ich auch selbst entwerfe und korrigiere. Ich bestimme ihre Noten. Kurzgesagt: Ich bin die Madame für alles. Oder auch gern „Class 3 Madame“. Es kommt immer noch vor, dass ich nicht sofort reagiere, wenn ich so gerufen werde („Ach, das war ja ich“). Aber mein Bild hier scheint ist sowieso ein ganz anderes zu sein. Zumindest wenn man mich aus Kinderaugen betrachtet, die mich in der Regel auf Anfang 30 schätzen. Gut, das Abiturientinnen-Dasein hat ein Ende, willkommen im Lehrer-Alltag!
Und deshalb geht’s jetzt auch gleich los mit dem Unterricht.
- Stunde: Natural Sciene oder auch Allgemeines
Während ihr jetzt anfangt in euren Wintermänteln über den Weihnachtsmarkt zu schlendern und Glühwein zu schlürfen, beginnt hier die Trockenzeit, auch Harmattan genannt. Anders als in Deutschland unterteilt man die Jahreszeiten hier nur in Regen- und Trockenzeit. Dabei bestimmt das Wasser alles. Während es in der Regenzeit mehr als genug davon gibt, ist in der Trockenzeit davon kaum noch was übrig. In der Trockenzeit, die von November bis März geht, weht der Wind von der Sahara, also von Norden nach Süden, und trocknet somit die eigentlich hohe Luftfeuchtigkeit aus. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein Sommerkind bin, doch diese Temperaturen haben sogar mich schon zum Stöhnen gebracht. Manchmal wär so ein Schneehaufen, in den man sich eben mal reinsetzen kann, doch nicht so schlecht. Denn man ist eigentlich immer nass. Entweder von der hohen Luftfeuchtigkeit oder vom Schweiß.
- Stunde: Physical Education oder auch die Ghanaer und ihre Leidenschaft zum Fußball
Wenn es nicht gerade das Essen, die Trommeln und Tänze sind, die man mit Ghana in Verbindung setzt, dann spricht man von den zukünftigen Fußballstars, die hier groß werden. Und das nicht zu Unrecht. Wenn Ghanaer für etwas brennen, dann ist es Politik oder Fußball. Davon durfte ich mich selbst letzten Sonntag überzeugen. Das Cape Coast Team „Ebusua Dwarfs“ spielte, nach 2 Monaten Spielpause, im Cape Stadion. Der Grund dieser Zwangspause: Sie hatten den Schiedsrichter beim letzten Spiel verprügelt. Ich finde, das beschreibt ihre Leidenschaft für diesen Sport schon sehr gut. Bei Fußball hört der Spaß auf. Nicht nur bei den Spielern, auch bei den Fans. Auf der Tribüne fuhren ganze Trommelgruppen und Woman- Fanclubs auf, ich durfte Zeugin einiger Reibereien werden. Was ein Spiel! Wir gewannen 4:1. Gibt es ein schöneres Comeback?
- Stunde: Religious and Moral Education oder auch „Gott schenkte uns Wasser“
Wie ich nun wohl schon öfters erwähnt habe, leben wir hier größtenteils ohne fließend Wasser. Ein Zustand, an den wir uns schon komplett gewöhnt und fast lieben gelernt haben. Nur einmal die Woche mit einem halben Eimer Wasser duschen? Na klar, alles andere wär nun auch echt übertrieben. Fünf Minuten später schwitzt man doch sowieso wieder. Und es ist schon gern mal vorgekommen, dass früh morgens um 4 ein lautes: „Leute, es regnet!!“ durch das Haus gerufen wurde, woraufhin alle aus dem Bett gesprungen und sämtliche Eimer und Gefäße vor die Tür gestellt haben.
So begab sich nun also die Nacht, an der wir wieder fließend Wasser bekommen sollten. An sich ein Ereignis, an dem wir einen „Wassertanz“ veranstalten, wäre da nicht dieses klitzekleine Detail von einem Wasserhahn, der nicht zugedreht war, gewesen. Wenn man kein Wasser hat, merkt man das ja auch nicht. Vor allem nicht in einem Badezimmer, das keiner von uns benutzt und einem Raum daneben, den keiner von uns bewohnt und mehr als Wäschezimmer genutzt wird. Als wir am nächsten Morgen erwachten, überraschte uns ein Swimmingpool im eigenen Haus. All das, was die letzten Wochen so rar und wertvoll war, hatten wir nun im Überfluss. Eine wirklich absurde Situation. So schöpften wir früh morgens um 6 erst mal die ungefähr fünf Zentimeter hoch stehende Brühe, da unser Fußboden nur mit einer Art roter Farbe gestrichen ist, die sich komplett abgelöst hatte.
Poolparty in Afrika!
- Stunde: Ghanaen language oder auch „I survived the Canopy Walkway“
Laut Reiseführer muss jeder, der in Ghana war, auch einmal im Kakum Nationalpark gewesen sein. Und neben vielen tausend anderen Gründen, warum es für mich unbedingt Afrika sein musste, waren es wohl auch diese abenteuerlichen Bilder von wackligen Hängebrücken inmitten von endlosen Wäldern, die mich dieses Land entdecken lassen wollten. Ich hab mir immer gesagt, einmal in deinem Leben musst du auf so einer Brücke gestanden haben. Fragt mich nicht wieso. Aber für mich war klar, spätestens nach so einem Moment hast du ein erfülltes Leben gehabt.
Im Rahmen eines Schulausfluges letzte Woche sollte dieser kleine Traum für mich wahr werden. Wie die Königin lief ich den Canopy Walkway entlang und war der glücklichste Mensch überhaupt. Weniger glücklich war die an Höhenangst leidende Alina, die die Aussicht dann erst später zu Hause auf meiner Kamera genießen konnte.
- Stunde: Creative Arts oder auch der Versuch einer Zeichnung meiner wunderbaren Klasse
Zuallererst möchte ich an dieser Stelle eine kurze Bedeutungspause für alle Lehrer dieser Welt einlegen. Ich weiß, ich war manchen von Euch sicher auch nicht immer eine Musterschülerin und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht kleine böse Streiche gegen den einen oder anderen, zumindest in Gedanken, ausgeheckt habe. Aber ich möchte hiermit betonen, dass ich eure Arbeit spätestens jetzt wirklich zu schätzen weiß. Auch wenn sich Schule und Unterricht wohl kaum mit den ghanaischen Prinzipien hier vergleichen lässt, ist mir das bewusst geworden. Oft fall ich nach einem Schultag einfach nur noch ins Bett, weil ich so geschafft bin.
Den gesamten Tag durchgehend unterrichten, nebenbei noch korrigieren, die Klasse im Zaum halten, alltägliche Kabbeleien beschwichtigen und Sorgen meiner Schützlinge klären- das kann schon mal anstrengend werden. Dabei versuche ich sowohl Respektperson als auch Freundin für die Kinder zu sein. Es ist nicht immer einfach, die Klasse im Griff zu haben, denn auch wenn man es nicht wahr haben mag, hören sie meist dann am besten, wenn man ihnen mit dem Can (Schlagstock) droht. Und ich bin an manchen Tagen auch ehrlich an meine Grenzen gestoßen. Doch mit der Zeit habe ich mir eigene Methoden zugute gemacht. So stehe ich zum Beispiel wie beim Fußball immer mit einer gelben und roten Karte vor der Klasse. Wenn ich jemanden ermahne gibt es die gelbe Karte, wenn er daraufhin nochmals nicht hört, die rote. Die „Bestrafungen“ sehen unterschiedlich aus. Oft darf geputzt werden, aber ich habe auch schon der gesamten Klasse die Pause untersagt und sie die Klassenregeln, welche wir gemeinsam entworfen haben, abschreiben lassen. Dazu habe ich außerdem eine „Partyuhr“ gebastelt, die jetzt im Klassenzimmer hängt. Wenn die Klasse gut mitgemacht hat, geht der Zeiger ein oder zwei Stunde vor, wenn nicht, eine Stunde zurück. Wenn sie es geschafft haben, einmal ganz rum zu kommen, gibt es eine „Party“. Dann bringe ich ihnen zum Beispiel ein paar Süßigkeiten mit oder bereite in anderweitig eine kleine Freude.
Ich versuche hier wirklich jeden Tag das Beste zu geben. Und zwar für die Kinder. Für die tollsten Menschen, die ich kenne. Viele von ihnen mit bewegenden Geschichten, die dann eben doch ab und zu einen kulturellen Unterschied zeigen und mir bewusst werden lassen, dass es einem als Lehrer mehr als nur mathematisches Denkvermögen abverlangt. Denn kann ich es einem Jungen vorwerfen, dass er seinen Namen immer noch nicht richtig schreiben kann, wenn ich gleichzeitig weiß, dass er den restlichen Tag auf dem Markt Wasser verkauft? Kann ich von einem Mädchen verlangen, dass sie meinen Unterricht aufmerksam verfolgt und aufhört sich wegen jeder Kleinigkeit laut weinend auf den Boden zu werfen, wenn sie mir doch im selben Moment erzählt, dass letzte Woche ihr großer Bruder gestorben sei? Und was mache ich mit einem Jungen, der mit Bauchschmerzen und glühend heißer Stirn vor mir sitzt, aber nicht nach Hause gehen will, weil er Angst hat genau deswegen Ärger von seinen Eltern zu bekommen?
Ich kann nur sagen, dass es wirklich Wahnsinn ist, wie sehr mir jeder Einzelne von ihnen schon ans Herz gewachsen ist. Außerdem lerne ich mit jedem Tag ein kleines Stückchen dazu. Und wenn nicht grad mal ein Huhn durchs Klassenzimmer spaziert kommt, läuft es im Großen und Ganzen echt gut.
- Die Schultrommeln trommeln, Schule ist vorbei –
„And now shut the windows please and see you tomorrow!“
Ich hoffe, ihr macht alle brav eure Hausaufgaben und schreibt mir fleißig. Ich freue mich jedes Mal über jede noch so kleine Nachricht von euch. Ich verweise außerdem auf ein paar neue Bildchen in meinem Fotoalbum.
Ihr bekommt alle ein Bienchen von mir ins Heft, eure Class 3 Madame
Malaria, Klappe die Erste und… Action!
02.11.2012 15:36Da hat auch nun mich das böse Ungeheuer Ghanas erreicht und leistet mir Gesellschaft. Ich liege seit einer Woche krank im Bett mit meinem neuen Freund, Malaria. Allen denen, die jetzt laut aufstöhnen und vor Schreck die Hände vor den Mund werfen, sei gesagt: Keine Sorge, ich werde nicht sterben. Und denen, die sich jetzt bei der ganzen Geschichte noch ein bisschen mehr Spannung und Dramatik erhoffen: Nein, auch nicht haarscharf.
Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Es ist ein bisschen so wie eine Sommergrippe, nur dann eben doch anders. Ich werde gut versorgt, nehme Medikamente, die ganze Arbeit leisten, zumindest fühl ich mich seit einer Woche wie auf einem Dauertrip harter Drogen und ich hab nicht mal die Kraft dazu ein Marmeladenglas zu öffnen.
Die Malaria, die in Ghana verbreitet ist, ist vom Verlauf her zwar die Gefährlichere, hinterlässt aber keine Langzeitschäden und ist harmlos, wenn man rechtzeitig reagiert. Und das habe ich ja. Von daher: I`ll be alright!
Und etwas Gutes hat es ja, endlich hab ich mal ein bisschen Zeit, um meinen Blog zu hegen und zu pflegen.
Während also andere an ihren freien Tagen die Sahara, Dschungel und Wälder Afrikas bereisen, habe ich meinerseits in den letzten Tagen die ghanaische Krankenhauslandschaft erkundet. Auch eine Erfahrung, keine Frage. Mein Trip begann letzten Sonntag früh um 6. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinen blassen Schimmer von dem Geist Malaria in mir, sondern begleitete nur Marlies, der es ebenfalls nicht gut ging. Wir warteten vier Stunden, um uns letztendlich sagen zu lassen, dass wir am nächsten Tag nochmal wiederkommen sollen, da sonntags alle Labore geschlossen haben und sie keine Untersuchungen machen können. Okay, man kann seinen Sonntagvormittag ja auch mal so gestalten. Vielleicht vom Krankenhausgeruch inspiriert ging es mir von da an auch zunehmend schlechter und somit konnten Marlies und ich am nächsten Morgen nochmals kollektiv das Krankenhaus beschreiten. Wir haben es punkt 7 Uhr früh betreten und um 12 Uhr wieder verlassen. Ja, wenn man etwas in Ghana lernt, dann ist das warten. Und zwar wirklich nur warten. In deutschen Wartezimmern ist ja schon eine halbe Stunde eine Zumutung („Es ist ja nicht so, dass man was Besseres zu tun hätte…!“). Da wird in jeder freien, geradezu verschwenderischen Minute das Iphone gezückt, nebenbei Emails und Weltnachrichten gecheckt, mit Kopfhörern im Ohr Musik gehört oder zumindest ein Buch gelesen. Nicht so in Ghana. Man wartet einfach nur. Und auch ohne sich über diesen Zustand zu beschweren. Wenn es sein muss halt auch fünf Stunden.
Allgemein scheinen Ghanaer Begriffe wie Eile und Stress nicht wirklich zu kennen. Ich hab seitdem ich hier bin noch keinen einzigen Einheimischen mit einem hektischen Blick an mir vorbeihetzen sehen. Dann kommt man eben halbe Stunde später. So ereignete es sich auch letzte Woche, dass Alina und ich früh morgens uns trotz unbeschreiblicher Regengüsse auf den Weg zur Schule machten. Wir müssen ja pünktlich sein. Koste es was es wolle. Als wir diese erreichten, fanden wir sie leider nur menschenleer vor. Kein einziger Lehrer weit und breit, nur ein paar vereinzelte Schüler. Zwei Stunden später, als der Regen aufgehört hatte, trafen nach und nach alle ein. Nicht komplett durchnässt, wie Alina und ich. Hauptsache wir waren punkt 8 Uhr in der Schule, wie es sich für einen gut erzogenen Deutschen nun mal gehört.
Diese Einstellung und Lebensrhythmus scheint sich übrigens auf jeden ghanaische Luft einatmenden Menschen zu übertragen. Ich spreche aus eigener Erfahrung (wenn ich nicht gerade schweren Unwettern trotze, um pünktlich in der Schule zu sein). Sobald man ghanaischen Boden betritt, scheint man innerlich einen Gang runterzuschalten. Man läuft einfach entspannter durch seinen Alltag. Eine Gabe, die ich am liebsten als Mitbringsel in Deutschland verteilen würde. Die Burn-Out und Herzinfarktquoten würden sicher sofort um einiges sinken.
Nach diesem kurzen Statement möchte ich Euch gern eine Geschichte erzählen. Die Geschichte handelt von einem Mädchen, welche ich selber nie kennengelernt habe und die es dennoch geschafft hat mich zu berühren. Nennen wir sie Helen. Helen ist 12 Jahre alt, spielt viele Klatschspiele mit ihren Freundinnen, sie geht gern in die Schule in ihrem Dorf Asebu und träumt von Dingen, wovon Mädchen in dem Alter eben träumen. Abends liebt sie es den Geschichten ihrer Großmutter, bei der sie lebt, zu lauschen und davon in den Schlaf gewogen zu werden. Dann träumt sie von ihrer Mutter, die an der Elfenbeinküste lebt und stellt sich vor, wie sie gegen böse Piraten kämpft. Sie ist wie jedes andere Kind auch. Und dennoch ist da etwas, was sie von den anderen Kindern unterscheidet. Auf den ersten Blick mag man es nicht sehen, aber dennoch soll es ihr gesamtes Leben beeinflussen. Und gerade in letzter Zeit hat sie das Gefühl, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmt. Wenn ihr beim Fange spielen die Puste ausgeht, mehr als den Anderen, sie manchmal das Gefühl hat, dass sie auftauchen muss, um richtig Luft holen zu können, doch der Moment des Auftauchens ausbleibt.
Helen ist seit ihrer Geburt an HIV positiv. Und das weiß sie auch. Sie weiß, dass sie Aids hat und dass sie daran sterben kann. Und genau davor hat sie auch Angst: vor dem Sterben. In den letzten Jahren hat sie zum Glück Zuflucht bei der Alliance For Youth Development gefunden. Alliance For Youth Development ist eine Organisation deren Ziel es ist, Waisenkinder und benachteiligte Kinder zu unterstützen und ihnen eine Chance auf Bildung zu ermöglichen. Ihre Hilfsprogramme sind breit gefächert. Sie beinhalten Projekte wie einem Sportprogramm und von Freiwilligen geleiteter Aufklärungsunterricht an allen Schulen um Asebu, führen eine Grundschule, betreuen HIV infizierte Kinder und geben Essen für diese aus. Helen hat selbst beobachtet, wie im letzten Jahr neben ihrer Schule plötzlich ein Haus entstand und dort jetzt einige Kinder leben, denen es ähnlich geht wie ihr. Ein paar von ihnen hat sie auch schon kennengelernt und sie fühlt sich nicht mehr ganz so allein gelassen mit ihrer Krankheit. Sie weiß, sie hat jemanden, wenn sie Hilfe braucht und das gibt ihr Trost.
Und genau auf diese Hilfe war sie vor drei Wochen angewiesen. Helen wachte nachts auf, weil sie kaum atmen konnte, ihre Brust bebte. Sobald der Morgen angebrochen war, machte sie sich auf den Weg zu Mr Elvis, dem Leiter AYD`s. Sie wusste, wenn ihr einer helfen könne, dann er. Dort angekommen wurde sie gleich zusammen mit zwei Freiwilligen ins Krankenhaus geschickt. „Obruni“, dachte sich Helen nur. Weiße. Sie stellten sich als Marlies und Marcel vor, komische Namen. Die Namen kannte sie vorher noch gar nicht. Und überhaupt stand Helen den beiden anfangs noch etwas skeptisch und schüchtern gegenüber. Stets mit einem schweren Heben und Senken ihrer Brust. Sie begleiteten sie den gesamten Tag. Warteten mit ihr auf den Doktor, Marcel kaufte ihr sogar einen Pastory, genau die, die sie so gerne mag.
Das Resultat am Ende des Tages war, dass man ihr in dem Krankenhaus nicht weiterhelfen könne. Sie müsse in eine Privatklinik gebracht werden, in der man bessere Untersuchungen machen kann.
Helen hatte wieder ein bisschen Hoffnung. Nächste Woche würde sie in die bessere Klinik gehen, wo ihr bestimmt geholfen werden kann. Zumindest war es das, was man ihr versprach. „Nur noch eine Woche“, dachte sie und ging nach Hause.
Und genau diese Woche war es, die ihr zum Verhängnis werden sollte. Am Wochenende danach verstarb sie. Jegliche Hilfe kam zu spät. Sie hätte sie eine Woche früher gebraucht.
Das Traurige an dieser Geschichte ist, dass sie sich wirklich zugetragen hat. Marcel und Marlies haben Helen wirklich gekannt, haben Alina und mir beim Abendessen viel von ihr erzählt.
Ihr Tod hat uns alle sehr bewegt. Ein Tod, der so unfair erscheint. Der Tod von einem kleinen Mädchen, die genauso ein Recht auf ein langes, erfülltes Leben gehabt hätte wie jeder andere Mensch auch, die nichts für ihre Krankheit kann und wofür sie trotzdem am Ende aufgrund eines nicht ausreichenden Gesundheitssystem ihres Landes büßen muss.
Natürlich hat man von solchen Geschichten immer mal wieder etwas gehört. Hat kurz gedacht „wie schlimm, so etwas!“ und auch der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember ist schon was Gutes. Aber wenn wir mal ehrlich zu uns selbst sind, spielt es sich dann doch in einer anderen Welt ab, die ganz weit weg von der eigenen ist. Klar, wie soll es einen da groß berühren?
Doch genau diese Einzelschicksale erlebe ich jetzt hautnah mit. Ich habe letzte Woche das Kinderheim in Asebu besucht, hatte kleine Kinder auf dem Arm von denen ich wusste, dass sie HIV positiv sind. Man kann schwer beschreiben, was man in so einem Moment denkt und fühlt. Aber ich kann sagen, dass ich seitdem einen ganz anderen Bezug zu diesem Thema hab.
Es ist schlimm, aber wär in Deutschland keinen Nachrichtenbericht wert. Dabei macht sich keiner bewusst, was es für Angehörige, für die Familie und auch für den Betroffenen selbst bedeutet, was für Auswirkungen so ein Schicksal hat.
Ich finde es einfach nur schlimm mit anzusehen, wie bei uns in Deutschland noch 90-Jährige mit viel Geld am Leben gehalten werden, während auf derselben Welt, nur auf einem anderen Kontinent, eine Mutter sich nicht mal die Fahrt zur Beerdigung ihrer eigenen Tochter leisten kann.
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